Realisierungswettbewerb Hofackerstraße Augsburg, 2. Preis

Städtebau
Als Antwort auf den heterogenen städtebaulichen Kontext schlagen wir einen klar strukturierten Baukörper als Perimeterblock mit einer Grundrisstiefe von 16m vor. Dem Wunsch der Ausloberin nach einem punktuellen städtebaulichen Akzent wird mit einem fünfgeschossigen Hochpunkt im Süd-Westen Rechnung getragen. Alternativ könnte die Baumasse dieses Hochpunktes auf drei einzelne Hochpunkte aufgeteilt werden.

Lageplan

Diese würden entlang der Hofackerstraße platziert, um auf die kleinteilige Struktur der umgebenden Bebauung einzugehen und diese schlüssig zu ergänzen. Ein zentrales Konzept des Entwurfs ist die klare Trennung und attraktive Adressbildung für die verschiedenen Nutzungen von Gewerbe und Wohnen. Für die Gewerbeflächen im ersten Obergeschoss schlagen wir eine öffentliche Hoffläche vor, die über eine repräsentative Außentreppe von der Hofackerstraße erschlossen wird. Diese bildet einen eigenständigen Zugang und eine selbstbewusste und autarke Adressbildung für die dortigen Büroflächen und Arztpraxen.

Hochpunkte

Hausgemeinschaften
Die Hausgemeinschaften finden ihren Ort auf den Dächern: dort werden neben den Kinderspielflächen auch Gemeinschaftsdachterrassen (unter Photovoltaikanlagen) ausgewiesen sowie Flächen für Hochbeete, Wildkräuteranlagen und Bienenweiden um mit diesem urban gardening einen Beitrag zur Klimaverbesserung und zur Stabilisierung der Artenvielfalt zu liefern.

Grundriss Erdgeschoss
Grundriss Erdgeschoss
Grundriss 1. OG
Grundriss 1. OG
Grundriss 2. OG
Grundriss 2. OG
Grundriss DG
Grundriss DG

Erschließung | Feuerwehr
Die notwendigen Feuerwehranfahrten gemäß DIN 14090 sind an der südlichen und westlichen Blockkante nachgewiesen, dort sind die entsprechenden Aufstellflächen der Feuerwehr zur Sicherstellung des 2. Rettungsweg vor den Wohnungen ausgewiesen. Dort wo eine Anleiterung von der Straße nicht möglich ist (im Norden und Osten) sind sowohl der 1. als auch der  2. bauliche Rettungsweg über Treppenhäuser sichergestellt.

Erschließung

Zum Innenhof orientierte Wohnungen, die nicht über einen 2. Baulichen Rettungsweg verfügen, können über tragbare Leitern aus dem Innenhof durch die Feuerwehr angeleitert werden. Alle Häuser sind durch die gemeinsame Tiefgarage verbunden, jeder Bewohner hat also von dort direkten Wohnungszugang. Die gesamte Anlage ist barrierefrei gemäß DIN 18040 konzipiert, Höhensprünge werden über Rampen überwunden, die Gebäude sind mit behindertengerechten – und im Bereich der 5-geschossigen Bebauung Trage geeigneten Fahrstühlen (1.40  m | 2.10 m) – ausgestattet, die einen barrierefreien Zugang von der Tiefgarage bis in die Wohnung ermöglichen.

Hof als Verteilerebene

Adressierung
Das gesamte Gebäude wird mit vier Treppenhäusern erschlossen, die dem Wohnen vorbehalten sind.
Ein besonderer Fokus liegt auf der Ausgestaltung der Wohneingänge, der Entwurf knüpft hier an die Tradition großbürgerlicher Häuser der Gründerzeit an und wartet mit großzügigen etwa eineinhalbgeschossigen Eingangshallen auf. Über eine großzügige Außentreppe sowie einen barrierefreien Aufzug von der Hofackerstraße wird der Hof im 1.OG erschlossen. Dieser dient als repräsentative Verteilerebene für Büro und Arztpraxen und ermöglicht individuelle Adressbildung für die einzelnen Einheiten.

Schnitt A-A
Schnitt B-B

Tiefgarage | Logistik Anlieferung
Die erforderlichen 154 Stellplätze werden in einer zweigeschossigen Tiefgarage organisiert. Dabei können alle Besucher- und Kundenstellplätze im 1. UG nachgewiesen werden, sodass der Kundenverkehr ausschließlich dort stattfindet und das 2. UG durch diese nicht befahren werden muss. Bei der Konzeption der Tiefgarage wurde auch auf einen möglichst geringen Fußabdruck geachtet, sodass die Versickerung des Regenwassers auf dem Grundstück gewährleistet werden kann. Der Anlieferbereich ist schallgekapselt inhouse organisiert und ermöglicht eine optimale Andienung der Gewerbeflächen.

Ansicht Norden
Ansicht Osten
Ansicht Süden
Ansicht Westen

Konstruktion
Das Gebäude ist als Stahlbetonskelettkonstruktion mit außenliegendem Tragwerk mit wirtschaftlichen Stützweiten von 8,00m | 2,70 m vorgesehen, um optimale Funktionalität, Wirtschaftlichkeit und Flexibilität zu gewährleisten. Die Spannweiten der 16m tiefen Grundrisse werden durch Mittelstützen auf ca. 8m halbiert und ermöglichen damit sowohl flexible Grundrissgestaltung in Einzelhandel und Büro als auch wirtschaftliche Deckenhöhen von 22cm. Alternativ dazu kann mit einer Erhöhung der Deckenstärke auf 48cm starke Hohldielbohlen ein stützenfreier Grundriss realisiert werden. Alternativ wäre eine Holzverbunddecke denkbar.

Variante Skelettbauweise

Das Erdgeschoss und 1.Obergeschoss bilden einen konstruktiven lastabtragenden Tisch, der in den darüberliegenden Wohngeschossen dauerhaft maximale Flexibilität und Schaltbarkeit über den Nutzungszyklus hinweg ermöglicht. Zur Verkürzung der Spannweiten im Wohngeschoss wird jeweils eine Flurtrennwand lastabtragend ausgebildet und steht als wandartiger Träger in der Achse der darunterlegenden Mittelstützen. Die Wohnungstrennwände sind auf Grund der lastabtragenden Tischkonstruktion auch in Massivbauweise möglich.

Variante Modulbauweise

Alternativ zum Exoskelett über alle Geschosse ist ab dem 2. Obergeschoss auch eine Holzmodulbauweise denkbar, welche sich selbst trägt und neben den aussteifenden Treppenkernen keine weiteren massiven Bauteile erfordert. Bei der Grundrissgestaltung wurde auf eine hohe Modularität geachtet, sodass der gesamte Wohnungsbau mit nur 9 verschiedenen Modulen realisiert werden kann und damit einen hohen Grad an Präfabrikation ermöglicht.

Vogelperspektive

Fasssade | Gestalt „verweben“
Die Fassade bildet die horizontale Nutzungsmischung durch die unterschiedlichen “Maschenweiten“ die jeweiligen Nutzungen ab und schafft es gleichzeitig über eine vertikal verwobene Struktur den Baukörper zu e i n e m Stadtbaustein mit hoher Strahlkraft zusammen zu binden. Im Erdgeschoss werden mit tragenden Fassadenpfeilern im Achsabstand von 2,70m angemessene Schaufensterflächen für den Einzelhandel ermöglicht. Im 1. Obergeschoss wird neben den tragenden Fassadenpfeilern im Achsabstand von 2,70m der geforderten Flexibilität im Büro und den Arztpraxen mit nichttragenden Fassadenelementen – welche auch notwendige ALD Elemente aufnehmen können – im Achsraster von 1,35m Rechnung getragen. So sind massive Trennwandanschlüsse in jedem Ausbaufeld möglich. In den Wohngeschossen bildet sich die flexible Grundrissgestaltung in der Fassade ab. Die Fassade bildet hier einen eigenen Rhythmus aus Fensterflächen, opaken Fassadenelementen und Loggien, der den Anforderungen des Wohnens optimal gerecht wird.

Schallschutz | Lüftungskonzept
Aus den Gebäudelärmkarten ist zu entnehmen, dass der maximale Beurteilungspegel für den Tageszeitraum bei Lr = 61 dB(A) und für den Nachtzeitraum bei Lr = 56 dB(A) an der Südfassade liegt. Diese Werte liegen unterhalb der kritischen Schwellen von 70 dB(A) tagsüber und 60 dB(A) nachts, bei deren Überschreitung gesundheitliche Gefährdungen auftreten könnten. Daher sind zusätzliche aktive Schallschutzmaßnahmen wie Prallscheiben oder vorgelagerte Fassadenelemente nicht erforderlich. Es wird jedoch empfohlen bei Nacht-Beurteilungspegeln über 45 dB(A) in Schlafräumen und bei Tag-Beurteilungspegeln über 50 dB(A) eine fensterunabhängige Lüftung vorzusehen. Durch geschickte Grundrissanordnung gelingt es, nahezu alle Schlaf- und Aufenthaltsräume an Loggien anzugrenzen. Durch die zurückgesetzten Außenwohnbereiche kann bereits eine ausreichende Pegelminderung erreicht werden um eine reguläre Fensterlüftung der dahinterliegende Räume zu ermöglichen. In einzelnen Fällen wo dies nicht möglich ist, sind Außenluftdurchlässe in der Fassade vorzusehen.  Gemäß der Gebäudelärmkarte erreicht der maximale Beurteilungspegel an der Südfassade einen Wert von Lr = 61 dB(A). Außenwohnbereiche können daher grundsätzlich ohne zusätzliche Schallschutzmaßnahmen vorgesehen werden. Zusätzliche Optimierungen können durch die Gestaltung der Außenwohnbereiche mit schallabsorbierenden Oberflächen und beispielsweise Schiebeverglasungen erzielt werden. Diese ermöglichen neben der schalldämmenden Eigenschaft einen ganzjährig nutzbaren Freisitz. Um auch im 1.OG im Bereich der Büroflächen und Arztpraxen eine fensterunabhängige Lüftung zu ermöglichen, werden in den nichttragenden Fassadenanschlüssen (Achsraster von 1,35m) integrierte Außenluftdurchlässe vorgeschlagen.

 

Wohnbauerzählung
Dem Wunsch der Auslobung nach einem „vielfältigen Wohnungsangebot für unterschiedliche Nutzergruppen“ wird entsprochen:  es gelingt in einer Wohnbau-Erzählung die ganze Vielfalt des städtischen Wohnens abzubilden, vom kleinen Studentenappartement bis zur großen Wohnung für die Patchworkfamilie wird ein breites Spektrum an Wohnungsgrößen und -typen angeboten und somit die Grundlage für eine hohe soziale Mischung geschaffen. Von der kompakten Single-Wohnung mit 30,85qm über die Zweizimmerwohnung für ein Pärchen Typ „Beziehungsstart“ mit 47,45 qm bis hin zu unterschiedlichen Familienwohnungen beginnend mit einer kompakten 3-Zimmer Startup-Familienwohnung mit 72,50 qm bis hin zu der Großwohnung für Patchwork-Familien oder Wohngemeinschaften mit 104,35 qm wird ein breites Spektrum städtischen Wohnens angeboten und läßt so ein vielfältiges Nebeneinander erwarten. Die Modulare Struktur des Grundrissgefüges ermöglich dabei Flexibilität und Schaltbarkeit der Wohneinheiten. So können beispielsweise zwei Zweizimmerwohnungen zu einer Vierzimmerwohnung zusammengeschaltet werden. Mit dieser Struktur wird der in der Auslobung gewünschte Wohnungsmix exakt abgebildet. Insgesamt wird eine Geschossfläche Wohnen von ca. 5.260 qm erreicht bzw. können 69 Wohnungen auf einer Wohnfläche von ca. 4.131 qm errichtet werden.

 

Freiflächen, Versickerung und Retention
Im Erdgeschoss ist die Gestaltung von Grüninseln und Regengärten ein zentrales Element. Diese gliedern  als wichtiger Bestandteil der Schwammstadt, der zur Verbesserung des städtischen Mikroklimas beiträgt die unterschiedlichen Bereiche, bilden Nischen für Sitzbänke und Fahrräder und tragen zur Regenwasserversickerung bei. Im Südwesten erstreckt sich eine großzügige Platzfläche, die als Shared Space ausreichend Platz für die Gastronomie, Marktstände oder andere Veranstaltungen zur Verfügung stellt und so die Nutzung und Belebung des öffentlichen Raums fördert. Entlang der nördlichen Grenze zieht sich eine große, zusammenhängende Grünfläche, die unter Berücksichtigung der dort vorhandenen Bestandsbäume gestaltet wird und so den natürlichen Charakter des Areals bewahrt.

Dachnutzung

Das Dach des Gebäudes wird mit großen, frei bespielbaren Plätzen sowie Gemeinschaftsterrassen ausgestattet, die miteinander verbunden sind. Diese zusammenhängende Belagsfläche wird von einem Biodiversitätsdach eingefasst, das zur Förderung der Artenvielfalt beiträgt und eine grüne Oase auf dem Dach bildet. Eine große Pergola mit integrierten PV-Modulen sorgt für angenehmen Schatten und schützt die Gemeinschaftsdachterrassen vor direkter Sonneneinstrahlung. Sowohl das Biodiversitätsdach als auch die Extensivdächer sind als Retentionsflächen geplant, die das Regenwasser speichert und so zur Reduzierung der städtischen Überflutung beiträgt. Im Gegensatz zu den biodiversen Flächen auf dem Dach ist der Innenhof repräsentativ gestaltet. Die gesamte Grünfläche wird durch eine Aufkantung erhöht, in die Sitzbänke integriert sind. Ein großes Wasserbecken schafft in Verbindung mit mehrstämmigen, schirmförmigen Gehölzen einen repräsentativen Auftritt. Auch im Innenhof wird ein Retentionsdach in Verbindung mit einer Zisterne (Wasserbecken?) zur Regenwasserspeicherung vorgeschlagen. Diese kann das ankommende Regenwasser aufnehmen, speichern und den Pflanzen auch in längeren Trockenperioden wieder zur Verfügung stellen. Insgesamt wird durch dieses Konzept eine nachhaltige, funktionale und ästhetisch ansprechende Freifläche geschaffen, die den Nutzern unterschiedliche Freiräume bietet und gleichzeitig ökologische Funktionen erfüllt.

Modell

Nachhaltigkeit, Ökologie und Wirtschaftlichkeit
Die gesamte Konstruktion ist auf die optimierte Verwendung der Baustoffe ausgerichtet und versucht, eine am gesamten Lebenszyklus orientierte Nachhaltigkeit und effiziente Verwendung der Ressourcen zu gewährleisten. Das integrale Technik- und Konstruktionskonzept in Verbindung mit einer weitgehend Sorten reinen (Exoskelett, Komplementärfassade) Durchbildung der Bauteile minimiert die „Schichtigkeit“ der Konstruktion und schafft damit optimale Bedingungen für die langfristige Nutzbarkeit, Drittverwendung und Rückführung in den Lebenszyklus der Baustoffe.

Perspektive Innenhof

Ausloberin:  EMC Immo GmbH, 82166 München
Verfasser: Hierl Architekten und Stadtplaner GmbH
mit: BL9 Landschaftsarchitekten, LEICHT Physics Tragwerksplanung und Bauphysik
Mitarbeit: Miriam Ballesteros Sels, Anja Kopp, Maximilian Jüttner, Amelie Martin