Wettbewerb Geschäftshaus am Oberanger 16, München, engere Wahl

» … Es hatte etwas sehr behutsames und wirkte so gar nicht wie ein Wegwerfprodukt. Andererseits hatte er auch etwas sehr Ruhiges und Zurückhaltendes, er sprang einem nicht ins Gesicht.
Er war zurückhaltend aber auch verrückt, … Deswegen mag ich Weiß so gern. Weiß ist nicht nur neutral. Es ist auch ruhig. Hervorstechend und auffällig – und zugleich ganz unauffällig
… «

— Jony Ive, 2001

 

Die Bauparzelle des Oberangers 16 lässt sich in ihrer Geometrie bis auf frühkundliche Stadtkarten zurückverfolgen und zeigt eine typische mittelalterliche vor-rationale Geometrie mit entsprechend unpräzisen Winkeln (84° – 97°), der Altstädte generell ihre hohe gestalterische Auflösung verdanken. Diese über Jahrhunderte stabile Geometrie der Parzelle wird formgebend für die äußere Tragstruktur des modernen Skelettbaus, der damit in ein Zwiegespräch mit dem geschmeidigen Gefüge der historischen Stadt tritt.

Lageplan

Der Entwurf antwortet auf die anspruchsvolle städtebauliche Situation: neben selbstverständlich hervorragenden funktionalen und technischen Qualitäten schlagen wir den Typus eines filigranen Geschäftshauses vor, der seine Vorbilder in den bewährten Typen der Chicago Scool of Architecture, der hanseatischen Kontorhäuser oder auch der Münchner Geschäftshausarchitektur sucht. Dabei werden wegen der unterschiedlichen Wahrnehmungsperspektiven – einer dynamischen aus der belebten Straße und einer eher statischen vom Jakobsplatz aus – einerseits ein starkes Fassadenrelief, andererseits ein starker städtischer Auftritt gesucht.

Grundriss Erdgeschoss
Grundrisse 2. und 3. OG
Fassadendetail

Gemischt genutzte Gebäude, vor allem in nachgefragten Innenstadtlagen, haben teilweise sehr unterschiedliche Ansprüche an Erschließungen und benötigen daher eine robuste Struktur, die auch im Hinblick auf einen künftigen Nutzungswandel möglichst wenig Einschränkungen des übrigen Raumgefüges verursachen.

Wir greifen daher auf eine gegenläufige Treppenanlage – deren Erfindung Leonardo da Vinci zugeschrieben wird – zurück, die platzsparend zwei Treppen im Antritt gegeneinander versetzt, so dass die unabhängige Erschließung zweier Nutzungseinheiten dauerhaft gegeben ist.

Die vorgegebenen Grundstückstiefen variieren zwischen 9 und 15 Metern und sind für standardisierte Bürogrundrisse eher ungeeignet. Sie ermöglichen aber auf Grund dieses speziellen Zuschnitts die Ausbildung eines stützenfreien Grundrisses um einen tragenden und aussteifenden Kern und damit höchste räumliche Flexibilität und Variabilität im Innenraum. Neben den klassischen Möglichkeiten des Zellen- bzw. Kombibüros erlaubt der stützenfreie Raum die Ausformulierung von reversiblen Gruppenbüros und standortunabhängigen non-territorialen Workstations. Er trägt damit dem Bedürfnis nach aneigenbaren Raumstrukturen, Interaktion und Kommunikation Rechenschaft und ermöglicht das variable Nebeneinander von Open Space und Think Tank sowie ein differenziertes Grundrisslayout mit unterschiedlichen, einprägsamen und eigenständigen Organisationsformen.

Auf die heterogene Umgebung und das offene Nutzungskonzept wird mit einer ruhigen und neutralen aber gleichzeitig brillanten Materialität reagiert, in Form von weiß gegossenen Flächen mit unterschiedlich poliert, geschliffen und gesäuerten Oberflächen.

Standort Oberganger 16, München
Architekt Hierl Architekten BDA DWB
Auslober Oberanger 16 GmbH & Co. KG
Wettbewerb 2012
Geschossfläche 3.550 qm
Mitarbeit Carolin Semtner, Miriam Ballesteros